30. April 2021

„Familie ist Liebe und Zuflucht und Unterstützung.“

Miriam ist 17 Jahre alt und hat vier Eltern. Ihre leibliche Mutter und deren Frau und ihren leiblichen Vater und dessen Mann. Sie hat auch noch einen kleinen Bruder, der dieselben leiblichen Eltern hat.


Wie sieht deine Familie aus, wer gehört alles dazu? 

Also im engeren Familienkreis gehören natürlich meine beiden Väter, meine beiden Mütter und mein kleiner Bruder dazu. Und im weiteren Familienkreis würde ich auch Oma, Opa, die Geschwister von meinen Eltern und Cousinen, Cousins, die würde ich alle auch zur Familie zählen. 

Wie nennst du deine Väter und Mütter, damit klar ist, wer gemeint ist?   

Wir haben immer sehr viel mit dem Vornamen gearbeitet. Also wir haben Mama und den Vornamen drangehängt oder nur den Vornamen. Oder wenn nur eine Mutter da war, nur Mama. Also Mutti und Mama oder Mami und Mama haben wir eigentlich nicht gesagt. 

Was bedeutet Familie für dich? 

Familie ist Liebe und Zuflucht und Unterstützung. Und das habe ich zu 100 Prozent. Also ich fühle mich von allen meinen Eltern geliebt und unterstützt. Und wenn ich ein Problem habe, wären alle mit offenen Armen da und würden mich alle unterstützen, egal wie alt ich bin, egal was passiert ist. Und das finde ich sehr wichtig – generell in der Familie. Also ich kann auch auf meine Tanten zählen oder auf meine Oma, auf meinen Opa. 

Ist in deiner Familie im Alltag was anders, als in den Familien deiner Freundinnen? 

Eine Sache fällt mir ein, die ziemlich lustig ist. Darüber habe ich auch schon mal mit einer Freundin gesprochen, die, ich sage jetzt mal, Hetero-Eltern hat. Sie meinte, wenn man über Jungs spricht, dann bespricht sie das mit ihrer Mutter. Und ich bespreche das halt eher mit meinem Vater. Denn meine Mutter hat natürlich von Jungs so gar keine Ahnung, sie hat einen Sohn, aber das war’s schon. Und mein Vater, der ist da wirklich so drin. Auch wenn wir unterwegs sind, fragt er mich, ob der Junge vielleicht was für mich wäre. Das ist sehr offen mit meinem Vater. Das haben auch nicht alle mit ihren Müttern, aber ich hab das halt eher mit meinem Vater. Und sonst – also so bei Schulfesten, da hatte ich halt immer meine vier Eltern dabei, das war immer sehr groß. Das sind jetzt die Unterschiede, die mir einfallen. 

Reagieren andere auf deine Familie, wenn du davon erzählst?  

Also ich hab früher eigentlich nur im engsten Freundeskreis darüber gesprochen. Und denen war das immer egal. Und dann habe ich vor zwei Jahren in einem YouTube-Format davon erzählt und nach dem Video haben das natürlich alle rausgefunden. Und dann sind viele aus meiner Klasse und aus meinem Jahrgang zu mir gekommen und haben gesagt, wie toll sie das finden und wie mutig, dass ich mich das getraut habe vor der Kamera. Die haben mich alle auch unterstützt und das akzeptiert. 

Aber ich erzähle es halt nicht jedem gleich, der daherkommt. Meine Freunde wussten das immer, es wussten alle, die mir wichtig waren. Und der Rest ist doch eigentlich egal, das ist ja auch ein bisschen mein Privatleben. Es kommt ja auch keiner zu mir und sagt: Ja, ich habe zwei Eltern. Das tut ja auch keiner. 

Du hast zuerst bei deinen Müttern gelebt, hast du mir schon erzählt. Und lebst jetzt bei deinen Vätern …

Ja, das wollte ich so. Wir hatten sowieso immer einen sehr engen Kontakt zu meinen Vätern. Wir waren da jedes zweite Wochenende, die Hälfte der Ferien und zu Schulveranstaltungen sind sie auch gekommen. Und Weihnachten und sowas wurde immer aufgeteilt, Heiligabend bei Papa und der erste Weihnachtstag bei Mama und dann wieder umgekehrt. Und ja, das war schon immer ein sehr enger Kontakt. 

Was ist dein schönster Familienmoment? 

Es sind viel die kleinen Dinge im Alltag. Wenn mein Vater mir zum Beispiel einfach was vom Einkaufen mitbringt, was ich gerne esse. Oder wenn sich meine Eltern generell merken, was ich gerne mag und mir damit eine kleine Freude machen. Das ist immer sehr schön. Und ein großer Familienmoment war meine Konfirmation. Bei vier Eltern ist das schon ein bisschen Familie und ich war echt überrascht, dass so viele gekommen sind, auch von weither. Meine Tante ist zum Beispiel extra aus Stuttgart gekommen und hat mich damit überrascht. Ich fand das so schön, dass alle wegen mir gekommen sind und sich so viel Zeit genommen haben.

Was nervt dich an deiner Familie manchmal? 

Eigentlich nichts. Also klar manchmal, wenn man irgendwie mal was ausgefressen hat oder wenn man mal eine schlechte Note hat und wenn dann vier Eltern auf einen einreden, das kann schon ein bisschen anstrengend sein, aber das ist eigentlich das Einzige, was mich manchmal ein bisschen nervt. Andererseits hat man aber auch immer ein Elternteil, das eventuell was erlaubt oder was durchgehen lässt. Das ist auch von Vorteil. 

Was würdest du dir für alle Familien wünschen?  

Ich wünsche mir für Kinder sehr viel Liebe. Nach Möglichkeit nicht so viel Streit, und dass man den Kindern Geborgenheit schenkt. Und auch, dass alle Familien akzeptiert werden, egal in welcher Form. Es gibt ja viele verschiedene Formen. Die Form, die ich jetzt habe, ist schon außergewöhnlich, aber es gibt ja noch außergewöhnlichere. Und da würde ich mir einfach wünschen, dass all diese Familien von der Gesellschaft akzeptiert werden. Und die Gesellschaft nicht sagt, in irgendeiner Familie sind Kinder nicht gut aufgehoben oder Kinder brauchen eine Mutter oder sowas. Das wünsche ich mir schon. Also mir geht es ja auch sehr gut. Vier Eltern heißt ja auch, von vier Eltern verwöhnt zu werden. 

Hast du schon eine Vorstellung, ob du mal Familie haben möchtest?  

Also ich würde sagen, ich bin zu 100 Prozent hetero und ich will auf jeden Fall mal Kinder haben. Ich weiß noch nicht genau, ob ich unbedingt leibliche Kinder haben will, weil ich finde, es gibt auch viele Kinder, die kein Zuhause haben. Nicht nur Babys, sondern auch ältere Kinder. Und ich denke mir, das wird bei mir eher sowas wie Pflegekinder oder Adoptivkinder. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, sich in Transgender zu verlieben. Dann ist es ja auch nicht möglich, leibliche Kinder zu kriegen. Also ich bin für alles offen und mal schauen was so passiert. 

Und hast du noch etwas, was dir wichtig ist? 

Ich möchte noch sagen, für alle Eltern, die das jetzt irgendwie planen oder so: Macht euch keine Sorgen, um die zukünftigen Kinder, denen geht’s schon gut. Auch wenn die jetzt keine Mutter oder keinen Vater haben. Es gibt immer jemanden, eine Tante oder Onkel oder eine Oma oder Opa, an den die Kinder sich auch wenden können, wenn sie weibliche oder männliche Beratung brauchen. Ich denke, dass das kein Problem sein wird. Hauptsache man liebt sein Kind.